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Markus Wyss

*31.05.1937  †03.02.2025
Bild Markus Wyss

Rückblick auf mein Leben

1964 Aufnahme in den bernischen Kirchendienst

„Wo Gott dich gepflanzt hat, da blühe - alles Gelingen ist Gnade!"

Mein Lebenslauf ist kein Leistungsausweis, sondern dankbares Zeugnis für das gnädige und staunenswerte Wirken Gottes durch Jesus Christus in unserer Welt und ganz persönlich auch an und mit mir.
Am 31. Mai 1937 schenkte mir meine Mutter, Berta, geb. Rentsch, in Arbon am Bodensee das Leben. Sie hat oft an meinem Bettlein gewacht, geweint und gebetet, weil ich ein kränkliches Kleinkind war. In der Wyss-Familie, die in Landiswil BE beheimatet ist, wuchs ich als Jüngster mit drei Brüdern in fromm-behütetem Elternhaus auf. Meine pietistisch geprägten Eltern vermittelten uns vier Knaben früh einen soliden Zugang zu christlichem Leben und Glauben. Der Prediger-Beruf meines Vaters brachte es mit sich, dass wir mehrmals an neue Dienstorte versetzt wurden.
1939-1945 verbrachten wir im schönen, grenznahen Stein am Rhein. Zu den guten frühen Kindheitserinnerungen gehörten allerdings auch die bedrohlichen Ereignisse des 2. Weltkrieges. Von der Kindergartenzeit bis in die 2. Klasse versammelten wir uns oftmals verängstigt im Luftschutzkeller des Schulhauses, weil die Sirenen laut alarmierten.
Vom Herbst 1945 bis Herbst 1951 lebten wir im damaligen Bauerndorf Hunzenschwil AG, wo ich die Gemeindeschule und anschliessend die Bezirksschule Lenzburg besuchte. Ich erinnere mich eigentlich nur daran, dass ich ein schlechter Schüler und stark pubertierender Jüngling war.
Von 1951-1961 wirkten meine Eltern in Frauenfeld. Nach vier Jahren an der dortigen Kantonsschule wechselte ich nach Bern, wo ich am Evangelischen Seminar Muristalden zum Lehrer ausgebildet wurde. Die vier Semerjahre, inklusive Landeinsatz in Oeschenbach, gehörten zur bestimmendsten Zeit meines jungen Lebens. Wir Jünglinge der 97. Promotion wurden sehr lebensbejahend und auf Freiheit hin geschult. Besonders der Religionsunterricht durch ausgewiesene Theologen (A. Fankhauser, W. Ellenberger, A. Schädelin) sowie die täglichen Morgenandachten und die Wochenpredigt am Mittwochabend weckten mein Interesse für die Theologie.
Nach zwei Lehrerjahren, die vom Militärdienst bis zum Infanterieoffizier unterbrochen wurden, durfte ich von 1960-64 an der Universität Bern intensivst Theologie studieren. Das Studium erweiterte meinen Horizont und verhalf mir zu grosser Offenheit für das, was die Welt zusammenhält und womit wir menschlich leben können.
Im Frühling 1961 heirateten Dora, geb. Nüssli, und ich. Sie war meine Jugendliebe, die ich im 14. Lebensjahr (!) in Frauenfeld kennen lernte. Mit ihr zusammen wurde ich am Palmsonntag 1953 auch konfirmiert. Seit 1961 bis heute teilten wir miteinander ein spannendes und reich erfülltes Leben, für das ich nie genug dankbar sein kann. Noch während der Studentenehejahre wurden wir mit den Kindern Tabea (1962) und Thomas (1964) zur Familie.
Am 11. November 1964 wurde ich im Berner Münster ordiniert und in den Bernischen Kirchendienst aufgenommen. Mein Vikariat absolvierte ich an der Nydegg-Kirche in Bern bei Kurt Marti und am Seminar Muristalden, wo wir dann bis 1966 die Internatsleitung übernahmen, ich als Lehrer wirkte und Dora als Hausmutter von 130 jungen Männern. Vom April bis Ende 1966 verbrachten wir in London und Edinburgh mit Sprach- und Theologiestudium als Vorbereitung für die Mission. Vermittelt durch die damalige Basler Mission unter J. Rossel's Leitung arbeiteten wir von 1967-72 im Auftrag der Presbyterian Church in Cameroon als Leiterehepaar des Lehrerseminars in Nyasoso - als letzte Europäer vor der endgültigen Kamerunisierung - und anschliessend - auch als letzte leitende Europäer des Cameroon Protestant College in Bali. 1970 wurde uns Diobe (kamerunischer Name) als drittes Kind geschenkt. Die Kamerunjahre zählen zu den intensiv-schönsten Jahren unseres Lebens. Sie haben uns stark geprägt. Dankbar denken wir bis heute an diese unglaublich faszinierende Zeit zurück!
Von 1972-85 wohnten und arbeiteten wir im Hochhausquartier Gäbelbach/Holenacker der Kirchgemeinde Bethlehem am Westrand der Stadt Bern. 1973 machte Debora, unser viertes Kind, unsere Familie komplett. An vielseitiger Arbeit mangelte es uns in unserer ersten bernischen Pfarrstelle nicht. 1980 wurde ich nebenamtlicher Synodalrat der Reformierten Kirchen BE-JU-SO - eine ausserordentliche Zusatzaufgabe neben dem sehr fordernden Gemeindepfarramt. Als zuständiger Synodalrat für den OeME-Bereich führten mich Delegationen zu Partnerkirchen und oekumenischen Organisationen in alle Himmelsrichtungen. Im Laufe meines Lebens habe ich in über 30 Ländern auf allen Kontinenten in vielen Kirchen gepredigt, Gastfreundschaft von Christenmenschen erlebt und so, oft von Dorli begleitet, viel von Gottes schöner, z.T. auch weniger schönen, Welt gesehen. Wir erlebten die weltweiten kirchlichen Begegnungen und die vielen privaten Reisen als grosses Privileg, für das wir kaum Dankesworte finden. Im Sinne des bekannten Slogans „Global denken, sehen - lokal handeln" haben wir für unsere Arbeit vor Ort sehr viel gelernt!
Ein besonderer Höhepunkt meines Pfarrerlebens war der halbjährige Studienurlaub 1983 zum Thema: „Mission to the USA", einem Programm der Presbyterian Church USA. Was ich von der Ostküste der USA bis quer hinüber zum Pazifik in über 50 Gemeinden alles erlebte, steht in einem dicken Bericht. Die anschliessende Delegation des SEK zur 6. Vollversammlung des Oekumenischen Rates der Kirchen in Vancouver/Canada war wirklich ein umwerfendes Erlebnis! Dass Dora und Debora z.T. dabei waren, hat mich ganz besonders gefreut.
1985 wechselten wir vom Hochhaus im 12. Stock des Gäbelbachs nach Bremgarten, welches zur Matthäuskirchgemeinde Bern gehört. Vom wunderschönen Pfarrhaus am Aarestrand und dem altehrwürdigen Kirchlein in der lauschigen Aareschlaufe aus durften wir während sechs gesegneten Dienstjahren wirken.
Von 1991 bis zu meiner Pensionierung auf Ende Oktober 2000 wirkte ich schliesslich als Regionalpfarrer Bern-Emmental. Unterwegs in und für über 50 Kirchgemeinden - von Oberwil bei Büren via Bern bis ins Schangnau - eine spannende Aufgabe, die mir viel Freude bereitete! Das Gleiche gilt auch für die vielen Stellvertretungen, die ich nach der Pensionierung bis 2012 noch versehen durfte.
Von 1991-99 war ich auch ehrenamtlicher, zweitletzter Präsident der KEM, der Kooperation Evangelischer Kirchen und Missionen. In den gleichen Jahren wirkte ich auch im Pool der eidgenössischen Wahlbeobachter mit - ein weiteres Engagement, das mir sehr interessante Einblicke in die „grosse Politik" bescherte. Ich denke vor allem an drei frühere Aufenthalte im „alten" Südafrika bis zum denkwürdigen Wechsel 1994 mit der Wahl Mandela's zum Präsidenten und an andere Wahlen: in Palästina 1995, in Bosnien-Herzegowina 1996, in Zimbabwe 2000.
Zwei Monate nach meiner Pensionierung wurde ich noch einmal in eine ehrenamtliche Aufgabe berufen. Im Rahmen von «Mission in Unity» seit 2006 in die Aufgaben des Reformierten Weltbundes (seit 2010 Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen) integriert, besuchte ich die nach der Wende 1989 wieder entstehenden Reformierten Kirchen in der westlichen Ukraine dreizehnmal. In den letzten 12 Jahren entstand zwischen Bern und der Rivne-Region eine rege und erfreuliche Kirchliche Zusammenarbeit.
Weltweite oekumenische Beziehungen pflegen zu dürfen, war wirklich ein sehr wichtiger Teil meines bewegten und reich erfüllten Berufslebens. Ich habe viel zu danken: meiner liebsten Dora für alles Mitgehen, Mittragen, Mitbewegen und unseren vier längst erwachsenen Kindern und ihren Partner/innen samt den Grosskindern, die uns viel Freude bereiten.
Ich danke der Berner Kirche für ihre immer wieder erfahrene Grosszügigkeit, ebenso den vielen wohlwollenden Mitmenschen, die mich/uns in mannigfacher Weise begleitet haben.
Ich schliesse mit der ersten Strophe des Liedes 745:
„Gott hat in meinen Tagen mich väterlich getragen von meiner Jugend auf. Ich sah auf meinen Wegen des Höchsten Hand und Segen; ER lenkte meines Lebens Lauf'.
Am Montag, 3. Februar 2025 wurde Markus Wyss aus unserer Zeit und Welt abberufen. Seine Sterblichkeit ruht im Gemeinschaftsgrab neben der Kirche Bremgarten.
Ein paar Gedankensplitter zum Uebergang vom 8. zum 9. Lebensjahrzehnt:
Am 31. Mai wurde ich 80. Ich durfte diesen Uebergang, dank der Hilfe lieber Mitmenschen, frohgemut begehen - und gehöre nun zu den jungen Alten. Die alten Tage sind für mich (die letzte Gelegenheit, die mir das Leben bietet, um mein Wachsen und Reifen zu vollenden. Ob ich es wahrhaben will oder nicht: es ist mir klar, dass ich eine neue, eine andere Lebensphase angetreten habe. Sie hat eine biologische Dimension, denn mein Lebenskapital erschöpft sich langsam, aber sicher. Ich werde vergesslicher und, wer weiss, ungeduldiger und empfindsamer für gütige Gesten...
Aber es gibt den andern Aspekt, der bewegender ist, das menschliche Wachsen und Reifen. Am 31. Mai 1937 hat mich mein Mueti in Arbon ganz geboren, aber ich wurde nie fertig. Ich brauchte bis jetzt 80 Jahre, um meine Existenz zu verwirklichen. Mein Lebensweg formte sich, öffnete sich. Ich war und bin eigentlich immer im Werden. Es begann mit der Geburt und im Laufe meines Lebens wurde ich in Raten weiter geboren. Dieser Prozess wird früher oder später vollendet werden. Dann werde ich «in die Stille» eintreten...
In diesem Zusammenhang ist mir erhellend, was Paulus im 2. Korintherbrief 4,16 schreibt: „Darum werde ich nicht müde; wenn auch die Lebenskräfte, die ich von Natur aus habe, aufgerieben werden, wird doch der innere Mensch von Tag zu Tag erneuert". Das Alter ist eine Herausforderung für den inneren Menschen. Aber was ist der innere Mensch? Er ist mein Selbst, meine ganz persönliche Art zu sein und zu handeln, meine DNA, meine Identi- tät. Doch es kommt der Moment, das alles was war, und ist, abgelegt wird und nur noch die Frage bleibt: wer war und bin ich letztendlich?
Das ist die Herausforderung für die Phase des Alters, zu realisieren, dass ich viele Altersjahre brauche, um das Wesentliche zu entdecken, nämlich, dass ich lebe, um zu denken, zu arbeiten und Lebenssinn zu begründen. Es ist illusorisch, zu meinen, dass Weisheit mit dem Alter kommt. Die Weisheit kommt vom Wissen, mit dem ich das Alter als letzte Etappe des Wachsens und Reifens erlebe und gestalte.
Schliesslich ist es wichtig, die grosse Begegnung vorzubereiten. Das Leben ist nicht darauf angelegt, im Sterben zu enden, sondern durch den Tod verwandelt zu werden, um dann einzutauchen in das „Geheimnis der Ewigkeit". Ich hege das gleiche Credo wie der Weise des Alten Testaments: „Ich betrachte die vergangenen Tage und Zeiten und halte die Augen auf die Ewigkeit gerichtet".
Also: Danke und häbet's guet und nämmet's nid schwäär!
Euer Markus Wyss am frühen Morgen des 71Juni2017