Jürgen Dittrichs Lebensreise begann am 7. März 1963 in Bielefeld, das zusammen mit Aschen immer ein Stück Heimat für ihn blieb. Das Studium führte ihn schliesslich in die Schweiz nach Bern, wo er seine Ausbildung zum Theologen abschloss. Es folgten das Vikariat in der Berner Kirche und die erste Pfarrstelle in den Ferienorten Wengen und Gimmelwald. Einheimische wie Reisende kamen zu ihm, und auch er selbst ging auf Reisen. Seine tiefe und bleibende Liebe zu New York wurde in dieser Zeit geweckt. 15 Mal besuchte er die Stadt; stets begleitet von der intensiven Auseinandersetzung mit dem Wesen und der Verfassung der amerikanischen Kirchen.
Beim Reisen reifte eine weitere Leidenschaft: Der Journalismus. Was mit Reisereportagen begann, erlebte mit dem Diplomabschluss am Medienausbildungszentrum MAZ einen ersten Höhepunkt. „Ich glaube, der Mensch ist gut.“ lautete der – auch für sein eigenes Suchen zutreffende – Titel seiner Abschlussreportage über einen Holocaust-Überlebenden.
Darauf folgte der Wechsel zum Thuner Tagblatt, wo er als politischer Journalist wirkte. Es blieb ein Abstecher. Nach 5 Jahren kehrte er ins Pfarramt zurück und fand im Kanton Graubünden in den touristisch geprägten Kirchgemeinden Churwalden und Parpan eine neue Herausforderung. Den Journalismus legte er jedoch nie beiseite. So berichtete er für die NZZ als freier Journalist über verschiedene Glaubensgemeinschaften in den USA. Seine Reportage über das Gedächtnis an Martin Luther King in den Südstaaten wurde der Anfang einer jahrelangen Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Bürgerrechtler. „Der Traum von einer besseren Welt“ hiess ein von ihm verfasstes Lehrmittel zu King. Darin spiegelte sich auch Jürgen Dittrichs eigenes Suchen: Sein Ringen um und für Gerechtigkeit, dem er in seinem tatkräftigen Engagement und in seiner Leidenschaft zur Debatte Leben einhauchte.
Journalismus und Theologie blieben seine beiden Standbeine. Dem blieb er auch ab 2009 als Chefredaktor bei der Zeitschrift „reformiert“ treu, wo er sich religiösen, ethischen, sozialen und politischen Fragestellungen widmen konnte. Journalistische Reisen nach Israel und in den Irak liessen ihn hautnah miterleben, welch zerbrechliches Geschenk der Frieden zwischen den Religionen ist. Diese Erfahrungen haben sein Schaffen nachhaltig geprägt.
Bald wuchs wieder der Wunsch, ins Pfarramt zurückzukehren. Zuerst in Auenstein, dann ab 2015 in Neuhausen am Rheinfall stand er wieder im Gemeindeleben.
Als Neuhauser Pfarrkollege lernte ich die Zusammenarbeit mit ihm schnell schätzen: Ein wacher, wohlüberlegter Geist, der das Detail nicht scheute und die leidenschaftliche Diskussion liebte. Sein scharfsinniger Humor vermochte so manches auf den Punkt zu bringen. Vom Look her ein Intellektueller, doch er war sich nie zu schade, um mit beiden Händen anzupacken. Seine grosse Hilfsbereitschaft half Grenzen zu überwinden. So war es ihm ein Herzensanliegen, einen Flüchtling bei sich aufzunehmen – weil es notwendig war und weil er seinen Worten Taten folgen lassen wollte. Es ging ihm dabei um Glaubwürdigkeit – seine und die des Glaubens. Das entsprach ganz seinem eigenen theologischen Verständnis: Er war ein liberaler Theologe, der die Glaubens- und Gotteserfahrungen, die Zweifel und Fragen der Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit wirklich ernstnahm und ins Leben zu übersetzen suchte.
Unsere Gespräche schätzte ich sehr. Sie waren von der Entdeckung geprägt, dass wir uns oft am selben theologischen Ort trafen, auch wenn wir immer wieder feststellten, dass unser Weg dorthin selten der gleiche war. Das machte die Zusammenarbeit wohl so spannend und fruchtbar.
Gerne hätte ich noch viele Jahre mit ihm zusammengewirkt, doch er musste früher aufbrechen. Am 28. März 2017 trat er seine letzte Reise an. Ich bin Jürgen Dittrich dankbar für diese gemeinsame Zeit. Von ihm, dem Reisenden, habe ich viel gelernt.
Pfr. Matthias Koch, Neuhausen am Rheinfall, 31. März 2017