In der Nacht auf den 2. März ist unerwartet der Theologe Alfred Jäger im Alter von gut 73 Jahren gestorben. Inhaltlich ist sein theologisches Lebenswerk von einer grossen Offenheit und dem ständigen Gespräch mit der Philosophie geprägt.
Nach Abschluss der Kantonsschule St. Gallen studierte der aus Urnäsch stammende Alfred Jäger evangelische Theologie in Zürich, Rom, Basel, Göttingen und Princeton. Nach einer Zeit als Pfarrer in Wolfhalden wurde er 1975 Studentenpfarrer an der HSG, eine Zeitlang auch Religionslehrer an der neugegründeten Kantonsschule Heerbrugg sowie erster Leiter des Katecheteninstituts der St. Galler Kantonalkirche.
Weltweit führende Theologen
Neue Wege beschritt Alfred Jäger, indem er zusammen mit seinem katholischen Kollegen Richard Thalmann den ökumenischen Gottesdienst der Universität ins Leben rief. Gemeinsam luden Thalmann und Jäger auch weltweit führende Theologen wie Karl Rahner, Johann Baptist Metz, Jürgen Moltmann und Eberhard Jüngel zu Grossveranstaltungen in der Aula der HSG ein. Mit dem Slogan «Religion bleibt» warb Jäger für diese Anlässe sogar in den Bussen der städtischen Verkehrsbetriebe.
Ab Herbst 1981 wirkte Jäger als Professor für Systematische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Bethel in Bielefeld. «Mut zur Theologie» ist der Titel seines ersten Buches nach dem Umzug nach Deutschland. Es beruhte auf einer Vorlesungsreihe für Erstsemestrige. Hier sagte er, immer wieder neu zur eigenen Sache komme Theologie nicht dadurch, dass sie nur Altbewährtes und allseits Abgerundetes repetiere. Theologie sei ein schöpferisches Unternehmen.
Impuls für die Wirtschaftsethik
In seiner Zeit an der HSG hatte Jäger sich intensiv in die Wirtschaftswissenschaften eingelesen. Von ihm ging auch der erste Anstoss zur Einrichtung eines Lehrstuhls für Wirtschaftsethik aus. Besonders beeindruckte ihn das Lebenswerk des an der HSG wirkenden Hans Ulrich (1919–1997), des Vaters des St. Galler Managementmodells. In Bethel dozierte er deshalb nicht nur über die traditionellen theologischen Themen, sondern er adressierte sich an die Kirchenleitungen, um ihnen klarzumachen, dass die Managementlehre auch in der Kirche angewendet werden müsse.
In Bethel befinden sich bedeutende diakonische Einrichtungen, unter anderem Kranken- und Behindertenheime. Jäger erkannte, dass das St. Galler Managementmodell für die Führung derartiger Institutionen hilfreich sein kann. In Vorträgen, Kursen und Publikationen entwickelte er einen neuen Typ der Diakoniewissenschaft. «Diakonie als christliches Unternehmen» ist der charakteristische Titel eines seiner Bücher.
Besonders auch diakonische Einrichtungen in Osteuropa – von Weissrussland bis Ungarn – fragten immer neu um seinen Rat. Nicht ohne Grund verlieh ihm die Theologische Fakultät von Debrecen, der reformierten Hochburg Ungarns, den Ehrendoktor. Anlässlich seiner Emeritierung 2007 und der Rückkehr in die Schweiz schenkte er Debrecen einen grossen Teil seiner umfangreichen und wertvollen theologischen Privatbibliothek.
Eine Theologie des Lebens
Inhaltlich zeichnet sich Alfred Jägers theologisches Lebenswerk durch grosse Offenheit aus. Unablässig suchte er das Gespräch mit der Philosophie. In seiner Dissertation «Reich ohne Gott» setzte er sich mit dem unorthodoxen Marxisten Ernst Bloch auseinander. Seine Habilitationsschrift «Gott – nochmals Martin Heidegger» von 1978, ein monumentaler Band, suchte in Analyse eines Textes von Martin Heidegger nach einer neuen theologischen Sprache. Was Jäger vorschwebte, war eine «Theologie des Lebens».
Im Hintergrund steht Jägers Liebe weniger zur orthodoxen dogmatischen Theologie, sondern zur Mystik. Die Bücher Meister Eckharts und Jakob Böhmes hatten in seiner Bibliothek einen wichtigen Platz. «Rabbi X. sagte zu einem Buben: <Ich gebe dir einen Gulden, wenn du mir sagst, wo Gott ist.> Der Bub antwortete: <Und ich gebe Ihnen zwei Gulden, wenn Sie mir sagen, wo Gott nicht ist.>» Die Kürzestgeschichte Martin Bubers drückt Jägers religiöse Grundhaltung präzis aus. Kurz vor seinem Tod war es Jäger möglich, einen Sammelband mit Vorträgen und Aufsätzen definitiv zu bereinigen und an den Verlag zu schicken.
Zusammenfassung: Markus Bernet, ausführlicher Nekrolog: Frank Jehle (Tagblatt)