Publiziert von: Verena Salvisberg
Bereitgestellt: 03.03.2025
Der Pfarrberuf und die Landeskirche sind wie ein riesiger Hamburger, ein wunderbares Briochebrötchen, der Ketchup ohne Zucker, die Gurken sind knackig, die Zwiebeln frisch. Alles ist da, aber das Fleisch fehlt – wo steckt der Inhalt?
Rebecca Gieselbrecht
Kurzinput von der Tagung zu ‘Theologie was bleibt der Uni’ Pfarrerin Dr. Rebecca A. Giselbrecht
Im Rahmen eines Kurzinputs versuche ich, eine Stellungnahme abzugeben zu den folgenden
drei Anregungen, die mir vorgegeben wurden.
1) Eine bleibende wissenschaftliche Erkenntnis aus der eigenen Studienzeit.
2) Aus der eigenen beruflichen und wissenschaftlichen Erfahrung: Welches sind die
unabdingbaren wissenschaftlichen und akademischen Kenntnisse und Kompetenzen
für den Pfarrberuf?
3) Was kann ich selber zum Zusammenfinden von Pfarrberuf und Wissenschaft
beitragen?
Erkenntnisse
Das Wissen der Pfarrperson soll eng mit der Spiritualität und den Charaktereigenschaften der
Pfarrperson verwoben sein. Es wäre die Aufgabe der Bildungsinstitutionen, die Integration von
intellektuellem und konativem Lernen zu fördern. Das intellektuelle und persönliche
Wachstum eines Menschen im Dienst der Kirche ist unerlässlich und soll lebenslänglich
dauern. Bisher heisst es, ein Studium an der Universität solle dazu dienen, um Wissen
anzueignen. Dem entgegne ich unter anderem, in bester Gesellschaft mit Augustinus und
Luther, dass der Mensch nicht nur ein Kopf mit Beinen ist. Das fehlende Bindeglied zwischen
Denken und Gehen soll das Herz sein.
Der Pfarrberuf und die Landeskirche kommen mir heute oft vor wie ein riesiger Hamburger,
ein wunderbares Briochebrötchen, der Ketchup ohne Zucker, die Gurken sind knackig, die
Zwiebeln frisch und mit mildem Thomysenf. Alles ist da, aber das Fleisch fehlt – wo steckt der
Inhalt? Der Inhalt ist fuzzy und viele Menschen erzählen oft, der Inhalt fehle überhaupt.
Vielleicht wäre ein Gespräch notwendig über was die Kirche ist, nämlich ecclesia
(Organisation) oder koinonia (Menschen) oder beides. Es fällt mir auf, dass die Landeskirche
Innovationen und Kulturanpassungen vornimmt. Aber Inhalt? Was wird am Sonntag gepredigt?
Auslegung als Lebensweisheiten? Auslegung als Weg der Heiligung? Mehr als über
Gottesdienstformen, müssten wir uns über den Inhalt einigen. Ist die Aufgabe der Pfarrperson,
das Evangelium von Jesus Christus zu predigen? Oder machen das nur Freikirchler?
Das Thema Integration beschäftigt mich schon seit Jahren. Wie lassen sich Glaube,
Spiritualität, Charakterbildung und die universitären Bildungsfächer integrieren? Das hat mich dazu gebracht, mich mit Phronesis und Imitatio in der theologischen Ausbildung zu
beschäftigen. Als ich an der Uni Zürich dozierte, haben wir das Curriculum zur Spiritualität
entwickelt mit der Bildung von Köpfen und Herzen im Sinn. Einige von euch wissen besser
als ich, wie es jetzt läuft.
Ich kann dennoch berichten, dass ich auf der Synode der Bündner Kantonalkirche in Samedan
einige meiner Studenten getroffen habe, die jetzt Pfarrer sind. Von ihnen habe ich erfahren,
dass die Integration von Person und Theorie, die wir in den Kursen thematisiert haben und sie
in ihrem Studium gelernt haben, ihr Leben veränderten. Auch Jahre später zehren sie noch
davon im Pfarrberuf. Jüngerschaft braucht andere Wege als kulturelle Anpassung. Es kommt
darauf an.
Phronesis bedeutet, an praktischer Weisheit zuzunehmen. Solche Weisheit entsteht, wenn sich
Werte und Wissen überschneiden. An dieser Schnittstelle erkennen wir, wie und warum wir
tugendhaft handeln und mit einem hervorragenden Charakter reden und tätig sind. Praktische
Theologie ist nicht primär da, um Methoden des Systemwandels zu entwickeln, den wir
üblicherweise zu erzwingen versuchen, wenn wir Programme und Aktivitäten in Gemeinden
einführen. Vielmehr sollen das Theologiestudium und die Arbeit in der Gemeinde zu einem
konativen Wandel führen, das heisst, zu einer Transformation des Willens der Menschen, um
Christus ähnlicher zu sein und danach zu handeln. Konative Veränderung bedeutet, weise zu
werden. Theologische Theorie, Bibelwissenschaften und spirituelle Praktiken sollten
gleichermassen erlernt werden. Pfarrpersonen sollten in der Lage sein, weise Praktiken des
Wohlergehens zum Wohle anderer zu unterstützen und zu artikulieren. Ich denke, dass ein
Vikariat alleine dazu nicht ausreicht. Es braucht Jahre – die Studiumsjahre – um sich gute
spirituelle Gewohnheiten anzueignen.
Zwei Zitate von Martin Luther lasse ich in diesem Zusammenhang ohne Kommentar hier
stehen:
«Denn wenn wir fähige und qualifizierte Menschen sowohl für den
zivilen als auch für den geistlichen Bereich wollen, dürfen wir
wirklich keine Mühen, Zeit und Kosten scheuen, um unsere Kinder
zu lehren und zu erziehen (lehren und erziehen), damit sie Gott und
der Welt dienen.»
«Aber ich würde niemandem raten, seinen Sohn an einen Ort zu
schicken, an dem die Heilige Schrift nicht an erster Stelle
steht. Jede Institution, in der das Wort Gottes nicht regelmässig
gelehrt wird, muss scheitern. Deshalb beobachten wir die Art von
Menschen, die jetzt und in Zukunft an den Universitäten sind . . .
Ich fürchte sehr, dass die Universitäten nur weit geöffnete Tore zur
Hölle sind, da sie nicht fleissig darin sind, die jungen Studenten
auszubilden und ihnen die Heilige Schrift nahezubringen.»
Erlebnisse
Ich war überrascht, wie wesentlich die Sprachstudien für mich waren – massgeblich in meinem
Leben überhaupt für mein Herz und Kopf. Latein, Griechisch und Hebräisch waren wie Türen,
die sich in eine neue Welt, die Welt des Glaubens und Glaubenszeugnisse von andern öffnete.
Sprachen zu studieren bedeutet auch, die Kultur und Weltanschauungen zu studieren. Obwohl
die Heilige Schrift für jeden Leser zugänglich ist, also verschiedene Levels hat, sollte man
meiner Meinung nach in der Lage sein, den Urtext zu lesen, um sie zu lehren. Und wieder zu
lesen!
Die gleiche Tür der Sprache öffnete sich mir für das Schreiben meiner Dissertation über Frauen
in der Schweizer Reformation. Das Erlernen der biblischen und frühneuhochdeutschen
Sprachen und das Transkribieren haben mich auch emotional bewegt. Das Verständnis für die
Generationen, die vor uns lebten, hat in meiner Seele Empathie und Mitgefühl für das Leben
anderer freigesetzt. Und das ist es schliesslich, was meinem Leben als Wissenschaftlerin und
Pfarrerin heute die Richtung gibt.
Andererseits ist die Trennung zwischen der Charakterentwicklung und dem wissenschaftlichen
Bildungsprozess an Universitäten eine der beunruhigenden Erinnerungen an meine
Ausbildung. Ich hatte das grosse Glück oder den Segen, in Chicago, Los Angeles, Zürich, Bern
und Vancouver zu studieren. Ich glaube, ich habe in Zürich an etwa zwanzig Vorlesungen und
Seminaren teilgenommen und sechs Jahre lang in Zürich und zehn Jahre lang am Fuller
Seminary in Kalifornien durchschnittlich zwei Kurse pro Semester unterrichtet.
Das Seltsamste, das ich auf wissenschaftlicher Ebene erlebt habe, passierte, als wir in Zürich
ein Seminar für Doktoranden und Habilitanden abhielten – Praktische Theologie und
systematische Theologie zusammen. Das Thema des Kolloquiums war „Gebet“. So naiv wie
ich bin, fragte ich die Professoren und anderen Oberassistenten, ob wir, da wir uns mit dem
Gebet befassten, vielleicht beten könnten, bevor wir beginnen. Aber ich war baff und auch
verletzt, als meine Bitte abgelehnt wurde, weil meine Kollegen dachten, es könnte den einen
oder anderen teilnehmenden Theologiestudenten beleidigen oder stressen oder einen Kropf im
Hals machen.
Und das bringt mich zu der Frage, was eine Pfarrerin heute sein muss. Meiner Erfahrung nach
müssen eine Pfarrerin und ein Pfarrer genau wissen, woran sie glauben, und den Mut und die
sprachlichen Fähigkeiten haben, über ihren eigenen Glauben zu sprechen und dies in der
Verkündigung offenzulegen.
Hier haben wir jedoch ein Problem: Wenn wir die Heilige Schrift nicht als unsere Autorität
anerkennen, sind wir auf der Kanzel verloren und die Menschen laufen uns davon. Ich spreche
nicht von naiver Auslegung. Ich meine eine Auslegung der Heiligen Schrift, die die
hermeneutische und wissenschaftliche Lesart die Schriften in eine postmoderne, oder sollte ich
sagen, neoheidnische Kultur übersetzt. Und das kommt direkt aus meiner Praxis in der
Verkündigung als Pfarrerin.
Die einfache Auslegung, wie sie Zwingli und andere in ihren eigenen Kulturen praktizierten,
hat mir recht erfolgreiche Pastorate beschert. Es kommen Gemeinden wieder zusammen, um
das Wort zu hören und darüber nachzusinnen.
Auch bei den Jugendlichen. Neulich habe ich meine jetzigen Konfirmanden gefragt, was sie
gerne wissen möchten. Wir haben zusammen zu Abend gegessen (das machen wir immer) und
sie sagten ... ohne Aufforderung ... wir möchten die Bibel lesen können. Dann fügten ein paar
schüchterne Mädchen hinzu ... wir möchten wissen, wie man betet. Glaubt mir, ich habe mich
fast verschluckt, so sehr war ich überrascht und habe das Curriculum zu Freundschaft, Sekten
und Weltreligionen auf die Seite gelegt. Also machen wir jetzt genau das. Ich habe ihnen Bibeln
gekauft und unterrichte sie in Bibelkunde, zeige ihnen die Sprachen, bringe ihnen das Lesen
bei, erkläre ihnen, was in der Heiligen Schrift steht usw. Wir lesen gemeinsam und legen
Bibeltexte aus. Sie mögen besonders die Querverweise. Lustig ist, dass einige von ihren Eltern
sagten, als ich die Könfler-Familien zu einer Grillparty in unseren Pfarrgarten eingeladen hatte,
sie seien so neidisch auf ihre Kinder ... sie hätten die Bibel auch nicht verstanden und könnten
sie nicht lesen ...
Vorschläge zum Theologiestudium
Nachdem ich mit meinem Sohn, der jetzt ins Quest Programm einsteigt, seine Kurswahl
diskutierte, sind mir ein paar Vorschläge zum Theologiestudium in den Sinn gekommen:
• Studierende sollen zuerst ihre Motivationen klären. Sie sollen ein eigenes
Glaubensraster erstellen können. Sie sind weise, Beten zu lernen. Pfarrpersonen sollen
die Entscheidung treffen und artikulieren können, aus welcher Autorität sie predigen
und lehren. Empathie für Mitmenschen zu lernen ist unentbehrlich.
• Ich meine, wir sollen während der Studienzeit die Praxis aktiver einbetten ins
Gesamtprogramm. Vikariat während des Studiums in Übereinkunft mit der praktischen
Theologie an der Uni. Praktische Semester als Herzstück, auch in den
bibelwissenschaftlichen Fächern. – Ein eigenes Glaubensbekenntnis erstellen.
• Sprachen, auch mit digitalen Sprachtools, womit die Lernzeit verkürzt wird.
• Erstes und zweites Testament mit viel Bibelkunde.
• Psychologie inklusive eigene Spiritualität.
• Kirchengeschichte und systematische Theologie zusammenlegen.
• Organisationsdynamik / Betriebswissenschaften.
• Leadership und Umgang mit Laien Kirchenvorstehern.
• Praktische Theologie, mehr auf Praxisebene gemeinsam mit/in der Kirche lehren.
Im Rahmen eines Kurzinputs versuche ich, eine Stellungnahme abzugeben zu den folgenden
drei Anregungen, die mir vorgegeben wurden.
1) Eine bleibende wissenschaftliche Erkenntnis aus der eigenen Studienzeit.
2) Aus der eigenen beruflichen und wissenschaftlichen Erfahrung: Welches sind die
unabdingbaren wissenschaftlichen und akademischen Kenntnisse und Kompetenzen
für den Pfarrberuf?
3) Was kann ich selber zum Zusammenfinden von Pfarrberuf und Wissenschaft
beitragen?
Erkenntnisse
Das Wissen der Pfarrperson soll eng mit der Spiritualität und den Charaktereigenschaften der
Pfarrperson verwoben sein. Es wäre die Aufgabe der Bildungsinstitutionen, die Integration von
intellektuellem und konativem Lernen zu fördern. Das intellektuelle und persönliche
Wachstum eines Menschen im Dienst der Kirche ist unerlässlich und soll lebenslänglich
dauern. Bisher heisst es, ein Studium an der Universität solle dazu dienen, um Wissen
anzueignen. Dem entgegne ich unter anderem, in bester Gesellschaft mit Augustinus und
Luther, dass der Mensch nicht nur ein Kopf mit Beinen ist. Das fehlende Bindeglied zwischen
Denken und Gehen soll das Herz sein.
Der Pfarrberuf und die Landeskirche kommen mir heute oft vor wie ein riesiger Hamburger,
ein wunderbares Briochebrötchen, der Ketchup ohne Zucker, die Gurken sind knackig, die
Zwiebeln frisch und mit mildem Thomysenf. Alles ist da, aber das Fleisch fehlt – wo steckt der
Inhalt? Der Inhalt ist fuzzy und viele Menschen erzählen oft, der Inhalt fehle überhaupt.
Vielleicht wäre ein Gespräch notwendig über was die Kirche ist, nämlich ecclesia
(Organisation) oder koinonia (Menschen) oder beides. Es fällt mir auf, dass die Landeskirche
Innovationen und Kulturanpassungen vornimmt. Aber Inhalt? Was wird am Sonntag gepredigt?
Auslegung als Lebensweisheiten? Auslegung als Weg der Heiligung? Mehr als über
Gottesdienstformen, müssten wir uns über den Inhalt einigen. Ist die Aufgabe der Pfarrperson,
das Evangelium von Jesus Christus zu predigen? Oder machen das nur Freikirchler?
Das Thema Integration beschäftigt mich schon seit Jahren. Wie lassen sich Glaube,
Spiritualität, Charakterbildung und die universitären Bildungsfächer integrieren? Das hat mich dazu gebracht, mich mit Phronesis und Imitatio in der theologischen Ausbildung zu
beschäftigen. Als ich an der Uni Zürich dozierte, haben wir das Curriculum zur Spiritualität
entwickelt mit der Bildung von Köpfen und Herzen im Sinn. Einige von euch wissen besser
als ich, wie es jetzt läuft.
Ich kann dennoch berichten, dass ich auf der Synode der Bündner Kantonalkirche in Samedan
einige meiner Studenten getroffen habe, die jetzt Pfarrer sind. Von ihnen habe ich erfahren,
dass die Integration von Person und Theorie, die wir in den Kursen thematisiert haben und sie
in ihrem Studium gelernt haben, ihr Leben veränderten. Auch Jahre später zehren sie noch
davon im Pfarrberuf. Jüngerschaft braucht andere Wege als kulturelle Anpassung. Es kommt
darauf an.
Phronesis bedeutet, an praktischer Weisheit zuzunehmen. Solche Weisheit entsteht, wenn sich
Werte und Wissen überschneiden. An dieser Schnittstelle erkennen wir, wie und warum wir
tugendhaft handeln und mit einem hervorragenden Charakter reden und tätig sind. Praktische
Theologie ist nicht primär da, um Methoden des Systemwandels zu entwickeln, den wir
üblicherweise zu erzwingen versuchen, wenn wir Programme und Aktivitäten in Gemeinden
einführen. Vielmehr sollen das Theologiestudium und die Arbeit in der Gemeinde zu einem
konativen Wandel führen, das heisst, zu einer Transformation des Willens der Menschen, um
Christus ähnlicher zu sein und danach zu handeln. Konative Veränderung bedeutet, weise zu
werden. Theologische Theorie, Bibelwissenschaften und spirituelle Praktiken sollten
gleichermassen erlernt werden. Pfarrpersonen sollten in der Lage sein, weise Praktiken des
Wohlergehens zum Wohle anderer zu unterstützen und zu artikulieren. Ich denke, dass ein
Vikariat alleine dazu nicht ausreicht. Es braucht Jahre – die Studiumsjahre – um sich gute
spirituelle Gewohnheiten anzueignen.
Zwei Zitate von Martin Luther lasse ich in diesem Zusammenhang ohne Kommentar hier
stehen:
«Denn wenn wir fähige und qualifizierte Menschen sowohl für den
zivilen als auch für den geistlichen Bereich wollen, dürfen wir
wirklich keine Mühen, Zeit und Kosten scheuen, um unsere Kinder
zu lehren und zu erziehen (lehren und erziehen), damit sie Gott und
der Welt dienen.»
«Aber ich würde niemandem raten, seinen Sohn an einen Ort zu
schicken, an dem die Heilige Schrift nicht an erster Stelle
steht. Jede Institution, in der das Wort Gottes nicht regelmässig
gelehrt wird, muss scheitern. Deshalb beobachten wir die Art von
Menschen, die jetzt und in Zukunft an den Universitäten sind . . .
Ich fürchte sehr, dass die Universitäten nur weit geöffnete Tore zur
Hölle sind, da sie nicht fleissig darin sind, die jungen Studenten
auszubilden und ihnen die Heilige Schrift nahezubringen.»
Erlebnisse
Ich war überrascht, wie wesentlich die Sprachstudien für mich waren – massgeblich in meinem
Leben überhaupt für mein Herz und Kopf. Latein, Griechisch und Hebräisch waren wie Türen,
die sich in eine neue Welt, die Welt des Glaubens und Glaubenszeugnisse von andern öffnete.
Sprachen zu studieren bedeutet auch, die Kultur und Weltanschauungen zu studieren. Obwohl
die Heilige Schrift für jeden Leser zugänglich ist, also verschiedene Levels hat, sollte man
meiner Meinung nach in der Lage sein, den Urtext zu lesen, um sie zu lehren. Und wieder zu
lesen!
Die gleiche Tür der Sprache öffnete sich mir für das Schreiben meiner Dissertation über Frauen
in der Schweizer Reformation. Das Erlernen der biblischen und frühneuhochdeutschen
Sprachen und das Transkribieren haben mich auch emotional bewegt. Das Verständnis für die
Generationen, die vor uns lebten, hat in meiner Seele Empathie und Mitgefühl für das Leben
anderer freigesetzt. Und das ist es schliesslich, was meinem Leben als Wissenschaftlerin und
Pfarrerin heute die Richtung gibt.
Andererseits ist die Trennung zwischen der Charakterentwicklung und dem wissenschaftlichen
Bildungsprozess an Universitäten eine der beunruhigenden Erinnerungen an meine
Ausbildung. Ich hatte das grosse Glück oder den Segen, in Chicago, Los Angeles, Zürich, Bern
und Vancouver zu studieren. Ich glaube, ich habe in Zürich an etwa zwanzig Vorlesungen und
Seminaren teilgenommen und sechs Jahre lang in Zürich und zehn Jahre lang am Fuller
Seminary in Kalifornien durchschnittlich zwei Kurse pro Semester unterrichtet.
Das Seltsamste, das ich auf wissenschaftlicher Ebene erlebt habe, passierte, als wir in Zürich
ein Seminar für Doktoranden und Habilitanden abhielten – Praktische Theologie und
systematische Theologie zusammen. Das Thema des Kolloquiums war „Gebet“. So naiv wie
ich bin, fragte ich die Professoren und anderen Oberassistenten, ob wir, da wir uns mit dem
Gebet befassten, vielleicht beten könnten, bevor wir beginnen. Aber ich war baff und auch
verletzt, als meine Bitte abgelehnt wurde, weil meine Kollegen dachten, es könnte den einen
oder anderen teilnehmenden Theologiestudenten beleidigen oder stressen oder einen Kropf im
Hals machen.
Und das bringt mich zu der Frage, was eine Pfarrerin heute sein muss. Meiner Erfahrung nach
müssen eine Pfarrerin und ein Pfarrer genau wissen, woran sie glauben, und den Mut und die
sprachlichen Fähigkeiten haben, über ihren eigenen Glauben zu sprechen und dies in der
Verkündigung offenzulegen.
Hier haben wir jedoch ein Problem: Wenn wir die Heilige Schrift nicht als unsere Autorität
anerkennen, sind wir auf der Kanzel verloren und die Menschen laufen uns davon. Ich spreche
nicht von naiver Auslegung. Ich meine eine Auslegung der Heiligen Schrift, die die
hermeneutische und wissenschaftliche Lesart die Schriften in eine postmoderne, oder sollte ich
sagen, neoheidnische Kultur übersetzt. Und das kommt direkt aus meiner Praxis in der
Verkündigung als Pfarrerin.
Die einfache Auslegung, wie sie Zwingli und andere in ihren eigenen Kulturen praktizierten,
hat mir recht erfolgreiche Pastorate beschert. Es kommen Gemeinden wieder zusammen, um
das Wort zu hören und darüber nachzusinnen.
Auch bei den Jugendlichen. Neulich habe ich meine jetzigen Konfirmanden gefragt, was sie
gerne wissen möchten. Wir haben zusammen zu Abend gegessen (das machen wir immer) und
sie sagten ... ohne Aufforderung ... wir möchten die Bibel lesen können. Dann fügten ein paar
schüchterne Mädchen hinzu ... wir möchten wissen, wie man betet. Glaubt mir, ich habe mich
fast verschluckt, so sehr war ich überrascht und habe das Curriculum zu Freundschaft, Sekten
und Weltreligionen auf die Seite gelegt. Also machen wir jetzt genau das. Ich habe ihnen Bibeln
gekauft und unterrichte sie in Bibelkunde, zeige ihnen die Sprachen, bringe ihnen das Lesen
bei, erkläre ihnen, was in der Heiligen Schrift steht usw. Wir lesen gemeinsam und legen
Bibeltexte aus. Sie mögen besonders die Querverweise. Lustig ist, dass einige von ihren Eltern
sagten, als ich die Könfler-Familien zu einer Grillparty in unseren Pfarrgarten eingeladen hatte,
sie seien so neidisch auf ihre Kinder ... sie hätten die Bibel auch nicht verstanden und könnten
sie nicht lesen ...
Vorschläge zum Theologiestudium
Nachdem ich mit meinem Sohn, der jetzt ins Quest Programm einsteigt, seine Kurswahl
diskutierte, sind mir ein paar Vorschläge zum Theologiestudium in den Sinn gekommen:
• Studierende sollen zuerst ihre Motivationen klären. Sie sollen ein eigenes
Glaubensraster erstellen können. Sie sind weise, Beten zu lernen. Pfarrpersonen sollen
die Entscheidung treffen und artikulieren können, aus welcher Autorität sie predigen
und lehren. Empathie für Mitmenschen zu lernen ist unentbehrlich.
• Ich meine, wir sollen während der Studienzeit die Praxis aktiver einbetten ins
Gesamtprogramm. Vikariat während des Studiums in Übereinkunft mit der praktischen
Theologie an der Uni. Praktische Semester als Herzstück, auch in den
bibelwissenschaftlichen Fächern. – Ein eigenes Glaubensbekenntnis erstellen.
• Sprachen, auch mit digitalen Sprachtools, womit die Lernzeit verkürzt wird.
• Erstes und zweites Testament mit viel Bibelkunde.
• Psychologie inklusive eigene Spiritualität.
• Kirchengeschichte und systematische Theologie zusammenlegen.
• Organisationsdynamik / Betriebswissenschaften.
• Leadership und Umgang mit Laien Kirchenvorstehern.
• Praktische Theologie, mehr auf Praxisebene gemeinsam mit/in der Kirche lehren.