Vielfarbig, vielförmig, intensiv. Nach dem Abendgebet in orientalisch-orthodoxer Tradition am 6. September gab es ein Gedränge. Viele wollten dieses besondere Bild mit den schwarzgewandeten Vertretern (und wenigen Vertreterinnen) dieser Kirchen festhalten.
Woher, warum, wer und wo? Und wo noch?
Die Armenier sind an ihren spitzen Kapuzen erkennbar. Wer aber kann die äthiopisch-orthodoxen, die koptischen oder der Mar Thoma Geistlichen an ihren Kopfbedeckungen unterscheiden? Wie unterscheiden sie sich? Wo kommen sie her und wo sind sie heute zu finden?
Klaus Koschorke, der in Thun lebende emeritierte Münchner Kirchenhistoriker, führt in seinem neuen Buch «Grundzüge der Aussereuropäischen Christentumsgeschichte. Asien, Afrika und Lateinamerika 1450–2000» zu verschiedenen Brennpunkten der kirchlichen Konflikte und der Weiterentwicklung seit den reformatorischen Umbrüchen in Europa. Unser Blick bleibt häufig fixiert auf römisch-katholisch, christkatholisch, reformiert – freikirchlich. Vielleicht tauchen nun griechisch-russisch-serbisch-rumänisch-orthodoxe Christinnen und Christen in unserem Blickfeld auf. Doch warum und wieso sich diese Kirchen von ihren Ursprungsorten weiterbewegt haben, das bleibt für viele von uns im Dunkeln.
«Christ is the Answer»
So ruft das 1997 vom Autor in Kintampo/Ghana aufgenommene Titelbild der Leserin, dem Leser zu. Dieses Versprechen will das Buch nicht einlösen, gleichzeitig ist dieses Bild Programm, denn es geht im Buch primär um Initiativen und Aktivitäten einheimischer Christinnen und Christen. Mit den zahlreichen Illustrationen werden die sorgfältig zusammengetragenen Quellentexte anschaulich in Zeit und Raum gestellt. Im Buch sind die Bilder «nur» in Graustufen zu sehen. Dem früheren Münchner Professor und leidenschaftlichen Menschenbeobachter und Fotografen ist es wichtig, die textlichen Quellen aus Archiven und Bibliotheken mit einer spannenden Auswahl von Bildern digital und wenn immer möglich farbig zu ergänzen. Der digitale Anhang (Creative Commons-Lizenz) kombiniert Buch und digitales Bildmaterial. Die immer wieder überraschenden Fotos des Autors können frei in Lehre und Unterricht verwendet werden. Details zur Nutzung (und der QR-Code) finden sich auf der letzten Seite des Vorworts. Ab 2027 werden die Bilder auch auf dem «Open Data LMU» Repositorium abrufbar sein.
Christen und Gewürze
Das Buch beginnt mit dem Rückbezug auf Vasco da Gama: «Statt einer Einleitung: ‹Christen und Gewürze› - oder: die Vielzahl regionaler Zentren in der globalen Christentumsgeschichte». Koschorke weist programmatisch darauf hin wie begrenzt eine eurozentrierte Betrachtung der Kirchen- und Christentumsgeschichte ist. Der Hinweis auf die von der ökumenischen Bewegung veränderten Perspektive wie auf die unterschiedliche «Missionsgeschichte» im Blick auf Korea oder Äthiopien und vielen anderen Teilen der Welt, wird zum Augenöffner.
2004 ist zum ersten Mal ein (Text-)Quellenbuch zur aussereuropäischen Christentumsgeschichte erschienen (Koschorke; Ludwig; Delgado). Das jetzt neue Buch bietet erstmals eine vertiefende und fortlaufend lesbare Darstellung: «Grundzüge», die prägnant und präzise in die Geschichte der Kirchen im globalen Süden einführen. In der Gliederung des Werks wird deutlich, dass Koschorke Kirchenhistoriker bleibt, der einerseits synchron Bezüge zwischen Afrika, Asien, Europa und Lateinamerika sichtbar macht und andererseits diachron die kirchliche Gegenwart betrachtet.
«Was lange währt …»
Lässt sich bei diesem überaus spannenden und nützlichen Buch mit Fug und Recht zitieren. Die Erkenntnisse von mehr als 40 Jahren intensiver Forschung und weit über 50 Jahre an Reisen in die aussereuropäischen Länder packt der Autor zwischen zwei (leider) broschierte und wenig stabile Buchdeckel. Bei intensivem Gebrauch werden die Buchdeckel rasch leiden, der Inhalt aber für kommende Jahrzehnte als rasches und übersichtlich gegliedertes Nachschlagewerk seine Bedeutung behalten.
«Nimm und lies» oder besser: «nimm und blättere und lies dann mal da mal dort» ist die Gebrauchsanweisung für dieses Buch, das so geschrieben ist, dass nicht nur Fachleute auf ihre Kosten kommen und sich in fremde Zeiten und Welten vertiefen können.
---
» Inhaltsverzeichnis
Klaus Koschorke, Grundzüge der Aussereuropäischen Christentumsgeschichte. Asien, Afrika und Lateinamerika 1450–2000. 2022. XX, 361 Seiten.
ISBN 978-3-8252-5934-1
29,00 € / Fr.44.90