Pfarramt heute

IP-1-2023-Eric-Bornand (Foto: Mark Haltmeier)

1989 ordiniert und eben 60-jährig geworden: Pfarrer Eric Bornand war in drei ländlichen Kirchgemeinden der Waadt und zwei Jahre in einer Pastoralschule in Neukaledonien tätig. Schon seit Beginn der 2000er Jahre engagierte er sich zudem im Verband der Pfarrer und Diakone der Waadtländer Kirche (EERV), den er zurzeit präsidiert. Die Art und Weise, wie er sein Amt erfüllt, lässt nach seinem eigenen Dafürhalten Zeichen von Obsoleszenz[1] erkennen, dennoch liegt ihm vor allem daran, seine Liebe zu diesem aussergewöhnlichen Beruf zu teilen. Zudem weist er auf heikle Punkte hin, um den beträchtlichen Schwierigkeiten in kirchlichen HR-Belangen etwas entgegenzusetzen.
Eric Bornand
Die Kirche, ein Unternehmen wie andere auch?
Als die kirchlichen Amtsträger in der Waadt 2007 ihren Beamtenstatus nichts ahnend verloren hatten, mussten sie plötzlich lernen, als Arbeitnehmer ihre Beziehung zum Arbeitgeber zu gestalten.[2] Etwa indem sie mit Kollegen und Freunden, die in den Synodalrat gewählt waren und sich ihrerseits erst noch in ihre Verantwortung als Arbeitgeber einzuüben hatten, einen Gesamtarbeitsvertrag[3] aushandeln mussten. Gelegentlich gelangten die schmerzhaften Krisen, die dieser On-the-Job-Lernprozess auslöste, bis in die Medien. Der Rahmenbedingungen waren von Grund auf zu überdenken, und zwar ausgehend von der kniffligen Frage, ob die Kirche denn ein Arbeitgeber wie andere auch sei. Für meinen Teil bin ich zum Schluss gekommen, die Frage sei insofern hinfällig, als jede Art von Unternehmen oder Institution mit eigenen Randbedingungen kämpft. Jedenfalls mussten sich die EERV-Angestellten aller Berufsgattungen der Debatte stellen und einfordern, was zuvor selbstverständlich gewesen war. Wie kommt das Arbeitsrecht zur Anwendung? Wie wird jemand eingestellt und wie entlassen? Spesen abrechnen? Pflichtenhefte schreiben? Für welche Löhne? Wie werden bereits erworbene Kompetenzen angerechnet? Welchen Grad von Sicherheit soll die Altersrente garantieren? Und vor allem … Wer ist hier der Chef? Wo doch im Waadtland gerade nicht befiehlt, wer zahlt (also der Staat) [4]
In diesem Zusammenhang taucht im Konfliktfall eine weitere Frage auf: Ist ein Geistlicher ein Arbeitnehmer wie andere auch? Stellen Sie zweien die Frage – und Sie werden drei Antworten erhalten. Ja, sagen die einen: es geht um einen mit dem Arbeitgeber ausgehandelten und unterzeichneten Vertrag, die rechtlichen Grundlagen sind verbindlich. Stimmt, bloss sind eine Pfarrerin oder ein Diakon zwar Staatsbürger wie andere auch … aber mit einem doch etwas speziellen Beruf. Nein, werfen andere ein: Nicht einmal der Bund hat zu Fragen des Arbeitsrechts für Geistliche Stellung bezogen. Ganz abgesehen davon, dass die Ordinierung uns zu Christi und seiner Kirche Dienerinnen und Dienern macht. Ihm sind wir Rechenschaft schuldig – und sollten wir uns gegen unseren Arbeitgeber auch auflehnen müssen, wenn wir der Auffassung sind, dieser irre sich.

Angst vor den Geistlichen
In der Praxis sind die kirchlichen Amtsträger im Waadtland als Arbeitnehmer einem reglementarischen Rahmen unterstellt, üben ihre Tätigkeit aber als Freiberufler aus. Wie in vielen reformierten Kirchen üblich, kommen in den verschiedenen Instanzen auf einen Geistlichen zwei Laien. Nicht wenige sind der Meinung, damit hätten Erstere in der Kirchenleitung bereits mehr als genug Gewicht. Meiner Ansicht nach hat dieses Verhältnis im Waadtland hingegen vielmehr eine tatsächliche Vertretung der Pfarrpersonen und Diakone als Arbeitnehmer in unserer Institution verhindert. Gerade weil das kirchliche Leben sich ohne Zutun der Berufsleute organisieren liess, wurden viele synodalrätliche Beschlüsse missverständlich oder gar angefochten. Mit dem Aufkommen neuer Arten von Ämtern müssten wir so schnell wie möglich ein System etablieren, das einen solchen Dialog ermöglicht.

Zu viele Sachzwänge
Im Lauf der vergangenen zwanzig Jahre haben rührige Synodalräte mit unterschiedlichsten Führungsstilen einander das Steuer einer Institution weitergereicht, die immer mehr aus der Zeit fiel. Mein facettenreicher Beruf (Berufung, Kunst, Handwerk, Job, Funktion …) hat mich durchaus begeistert, aber wenn ich mich im Berufsverband engagiert habe, dann nicht zuletzt um die Burn-out-Risiken in Schach zu halten. So viele Dinge änderten sich dermassen schnell, dass ich verstehen wollte, wie die Entscheidungen zustande kamen, die meine Vorstellung der reformierten Kirche und ihrer Ämter auf den Kopf stellten. Von den Anpassungen, die wir gerade mehr oder weniger freiwillig durchstehen, seien zumindest die folgenden erwähnt: neues Verhältnis zum Staat, Verpflichtung zu regionaler Zusammenarbeit, Spezialisierungen, Zunahme der Teilzeitstellen (die den Frauen den Zugang zum Pfarramt erleichtern), Fragen zur Unterbringung, zum Privatleben usw.
Wir sehnten uns nach Solidarität und Brüderlichkeit/Geschwisterlichkeit – und fanden uns in endlosen Reglementsüberarbeitungsschleifen wieder, mussten durch unzählige Mediationen, sassen Arbeitsgruppen ab und machten Beschwerdemanagementprozesse durch, die bisweilen in die Medien überschwappten. Neuerdings träumt man von geteilter Verantwortung, aber niemand hat eine Vorstellung davon, wie sich unsere presbyterial-synodale Praxis modernisieren oder umwandeln liesse. Dass uns nahe stehende Kirchen, nicht nur in der Schweiz, ähnliche Probleme haben – und dies bei unterschiedlichsten Entwicklungen in der Vergangenheit und allerlei formalen Geometrien –, ist ein schwacher Trost.
Zudem macht sich im Waadtland ein Pfarrerinnen- und Pfarrermangel bemerkbar. Pfarrer zu werden, ist auch hier kein Traumberuf mehr, wo EERV anagrammatisch zu RÊVE werden könnte. Ich stelle fest, dass zu viele junge Geistliche unter dem Druck der Aufgabe einen allzu schweren Berufseinstieg erleben, weil wir auf ihre Vitalität bauen, um allen unseren Schwierigkeiten zu trotzen. Manche der neu Berufenen machen sich seit Kurzem scharfsinnig einen Spass daraus, die Kirche und ihre Amtsträger zur Karikatur zu machen. Damit haben sie ein Mittel gefunden, um die Beklemmung vor so vielen ermüdenden Änderungen zu bannen, die letztlich die Amtsausübung als solche gefährden.
Und wer das Profil zum Einstieg in eine Diakonatsausbildung hätte, schwenkt neuerdings eher auf eine weniger verpflichtende Funktion ein (neu, auf Französisch, als nicht ordinierte «chargés de ministère» bezeichnet). Also doch eine Arbeit wie jede andere?

Burn-out oder «quiet quitting»?
Fragen über Fragen! Ich sehe in unserer Kirche lauter Ermüdungserscheinungen. Durchhalten, aber wie? Was hat das für eine Zukunft?
Wenn ich ein paar Jahre vor der Pensionierung gerade am Burn-out vorbeigeschrammt bin, wie vermeide ich ein «quiet quitting», auf gut Deutsch den Dienst nach Vorschrift im Zustand eines desillusionierten oder zermürbten Angestellten, der nur noch das Minimum macht? Ich gestehe ohne Scheu ein, dass auch ich befürchte, zusehen zu müssen, wie mein Feuer erlöscht. Weil mich der anforderungsreiche Beruf «natürlich» ermüdet hat. Aber auch weil unsere Gesellschaftsordnung an meiner Stelle entschieden hat, wann ich das Recht (die Pflicht?) habe, mit dem Arbeiten aufzuhören. Weshalb mich denn abrackern, wenn «es» sowieso auch ohne mich weitergeht?
Und wenn ich den Pickel hinschmeissen würde? Der Erste wäre ich nicht. Oder werde ich wie andere vor mir vielleicht gar Mühe haben, loszulassen, weil meine persönliche Identität so sehr an der Ausübung dieses Berufs hängt?

Betreuung und Begleitung
Diese allzu kurze Auflistung führt mich zum Schluss, dass wir unseren Pfarrerinnen, Pfarrern und Diakonen so rasch wie möglich eine Betreuung anbieten müssen. Es handelt sich nicht um eine elitäre Laune, sondern um eine Notwendigkeit. Die Zeit, als das Pfarramt (mehr oder weniger bewusst) die Autorität eines Lehramts hatte, ist längst vorbei.
In der Deutschschweiz und im Ausland finden sich in aller Selbstverständlichkeit Orte, die Kirchenangestellte für eine Verschnaufpause und einen Moment der Klärung beherbergen. Entstünde in der französischen Schweiz eine solche Bewegung, wäre dies ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Kirche gewillt ist, sich ihrer Dienerinnen und Diener anzunehmen.

Neuer Personalverband
Das Aufkommen sogenannter «animateurs d’Église» oder «animateurs de paroisse» im Waadtland stellt die Zukunft des Pfarramts und des Diakonats infrage. Selbstverständlich muss sich die Institution der Realität anpassen. Die Laufbahn als Geistliche/r hat an Attraktivität verloren, die Theologischen Fakultäten haben Rekrutierungsschwierigkeiten. Viele Christen (und sogar Nichtchristen) möchten in der Kirche einen sinnvollen Beruf im Dienst der andern ausüben. Wie herrlich und zugleich befremdlich! Doch mit eben diesen Menschen gilt es, die Zukunft unserer Kirchen zu denken.
Mit ihrem Auftauchen schält sich auch heraus, dass die gesellschaftliche Solidarität gleichberechtigt und gemeinsam mit allen Angestellten der Institution auszuüben ist. Aus vielerlei Gründen und in Übereinstimmung mit dem, was sich in anderen Kantonen beobachten lässt, erweist es sich deshalb als nötig, künftig in unserer Kirche die Angestellten aller Berufsgattungen in ein und demselben Personalverband zusammenzufassen.
Die Zukunft wird zeigen, ob dieses neue Werkzeug dazu beitragen kann, die Schwierigkeiten der aktuellen Kirchenleitung zu lösen.

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[1] Jesus weist Petrus in Johannes 21, Vers 18, darauf hin, dass er einmal alt sein werde. Heute liesse sich das dahingehend interpretieren, dass er sein Obsoleszenzalter erreichen wird. Jedenfalls ist er gewarnt: Er wird nicht hingehen, wo er hinwill. Für uns übersetzt: Nicht alles wird sich so ergeben, wie du es willst. Und das ist durchaus gut so.
[2] Zurzeit regelt ein Gesamtarbeitsvertrag das Arbeitsverhältnis in der EERV:
www.eerv.ch/accueil/contenu/documents.
[3] Solange die Pfarrpersonen und Diakone zum Staatspersonal gehörten, kam der Kanton für die Verwaltungs- und HR-Kosten auf. In der neuen Organisationsform werden die Löhne der Geistlichen weiterhin vom Staat subventioniert, aber die Kirche muss die Verwaltungsstellen selbst finanzieren, ein Aufwand der anfänglich unterschätzt wurde.
[4] Laut Kantonsverfassung ist die EERV eine subventionierte Institution öffentlichen Rechts. Die jährliche Zuwendung ist als Fixbetrag vorgegeben, nimmt also mit der Zeit ab. Innerhalb dieses Rahmens haben die reformierte und die katholische Kirche organisatorisch praktisch freie Hand.
Bereitgestellt: 10.03.2023     Besuche: 25 Monat
 
aktualisiert mit kirchenweb.ch