Wo steht die ökumenische Bewegung? Ein paar Monate vor der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen ÖRK skizziert Serge Fornerod die Perspektiven von «Karlsruhe».
Das Thema von Karlsruhe als Indikator und Motor der ökumenischen Erneuerung
«Christ’s love moves the world to reconciliation and unity». Das Thema der Karlsruher Vollversammlung weist darauf hin, wie und in welche Richtung der ÖRK die ökumenische Bewegung in den kommenden Jahren lenken möchte. Ein Kommentar des ÖRK und einer des Unterzeichnenden auf der EKS-Website (*) führt im Detail aus, was hier auf dem Spiel steht. Einige Elemente sollen hier kurz zur Sprache kommen:
1. Die unübersehbare Erwähnung der Liebe Christi als Motor aller Dinge bildet den Hauptschlüssel. Liebe ist die kürzeste, allen bekannte Definition Gottes. Gott ist Liebe und er gibt diese und sich selbst in der Person Christi zu erkennen. Nicht mehr. Nicht weniger. Alles ist da: Ganz am Anfang der Aussage, die Karlsruhe in Bewegung setzt, steht die Liebe Christi. Und doch hat der Begriff «Liebe Christi» in den ökumenischen Debatten der vergangenen Jahrzehnte nie eine Rolle gespielt. Seit dem Zweiten Vatikanum wurde sie nie in den Vordergrund der Ökumene gerückt. Die Liebe, die Christus erwiesen hat, ist die Methode, der Schlüssel und die Haltung, die es einzunehmen gilt, um die Welt weiterzubringen. Es geht also nicht mehr um einen rationalen, akademischen, intellektuellen Zugang zur Einheit, sondern um einen holistischen, der von der menschlichen Person als Ganzem ausgeht: Körper, Geist und Herz.
2. Dieses Motiv der Liebe klingt auch im folgenden Schlüsselbegriff an: moves bzw. bewegt, veranlasst. Das englische Verb drückt die erwünschte Mehrdeutigkeit hier gut zum Ausdruck: Es geht nicht bloss darum, Fortschritte zu erzielen, sondern vom Zustand der Welt berührt (moved), betroffen, bewegt, gerührt zu sein – aber auch vom anderen Christsein, von einer anderen Kirchenerfahrung, von anderen Ansichten zur Einheit. Auf Deutsch so gut wie auf Englisch oder Französisch wird das Verb to move (bouger, mouvoir, bewegen) auch verwendet, um von Emotionen zu reden. Es geht also um eine Ökumene des Herzens. Nicht etwa um Gefühlsduselei, sondern um das Teilen einer mit der eigenen Glaubenserfahrung verbundenen Emotion. Eine andere Umschreibung dieser Haltung bietet die Wendung receptive ecumenism. Der ÖRK geht einen Schritt weiter. Es geht also nicht allein darum, die andern zu anerkennen, sondern sie zu empfangen, sie zum Klingen zu bringen, sie sich zu eigen zu machen.
Der Begriff move towards bzw. führt hin drückt auch eine wichtige Nuance bezogen auf die anderen Vollversammlungen aus: Es geht um einen langsamen und eher unauffälligen oder gar verborgenen Prozess. Also um einen Weg mehr als um eine Tatsache, ein Ziel. Gott allein kennt das Ziel. Wir hingegen sind auf dem Weg. Die Ergänzung des Verbs lautet nicht to bzw. nach, sondern towards bzw. hin. Die Kirchen räumen ein, dass der Weg in Richtung Einheit die einzige Realität ist, die sie betrifft und zusammenführt. Jegliche Behauptung, manche seien bereits definitiv am Ziel angelangt oder viel näher dran oder hätten unbestritten und definitiv bereits eine präzise Kenntnis vom Ziel, bleibt aus.
The world: Die ganze Welt soll bewegt bzw. moved werden, nicht nur die Kirche. Mit andern Worten: Es gibt keinen göttlichen Plan, der im Hinblick auf die Zielsetzung – Einheit und Versöhnung – qualitativ, von seiner Natur aus einen Unterschied zwischen der Kirche und der Welt machen würde. Die eine zu einen / versöhnen, bedeutet, die andere zu einen / zu versöhnen.
Versöhnung und Einheit: Festzustellen, dass hier auf die in der ökumenischen Bewegung üblichen Termini «Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung» verzichtet wird, ist alles andere als belanglos. In der syntaktischen Konstruktion des Themas fassen die am Anfang des Absatzes erwähnten Wörter die Diagnose des Übels zusammen, an dem die Welt und die Kirche leiden.
Versöhnung: Sie steht für eine bescheidenere Realität als Friede. Um zum Frieden zu kommen, muss man erst versöhnt sein – nicht etwa sich versöhnen, sondern versöhnt sein. Der im Thema paraphrasierte Text aus dem zweiten Korintherbrief verweist darauf, dass Gott allein der Ursprung der Versöhnung und deren Vollender ist. Die Kirchen müssen sich versöhnen lassen, die Welt bedarf des Versöhntwerdens: mit der Schöpfung, mit ihrer gewalttätigen, rassistischen, sexistischen, populistischen Vergangenheit und Gegenwart, mit ihrer von der Klimakrise direkt bedrohten Zukunft. Einheit: Hier geht es um die anschliessende Etappe; aus der Gerechtigkeit erwächst die Einheit. Sie ist das letzte Wort, nicht bloss dieses Themas, sondern der Geschichte und des Glaubens. Einheit zwischen den Menschen, Einheit mit der Schöpfung, Einheit mit Gott. Am Anfang der Phrase, aber auch der Geschichte, steht die «Liebe Christi», am Ende die Einheit, die Vollendung.
Jetzt wird auch besser verständlich, dass die Einheit der Christen sich weniger in einer Übereinkunft von Lehrmeinungen manifestiert als vielmehr in der Liebe Christi. Die Welt wird ihre Einheit durch die in seinem Geist, aber auch in der wortwörtlich angewandten Liebe Christi finden.
Fazit: Während Jahrzehnten haben die Christen darauf bestanden, der ÖRK bzw. die ökumenische Bewegung hätten zum obersten Ziel, die Kirchen auf der Ebene der Lehrmeinungen zu einen, genauer auf ekklesiologischer Ebene. Die Ökumene der Lehrmeinungen hat ihr Potenzial offensichtlich ausgeschöpft. Die von der Liebe Christi getragene Ökumene öffnet im Herzen unserer katholischen Brüder bis an die Spitze der Hierarchie vielleicht mehr Türen als ekklesiologische Beweisführungen und akademische Definitionen. Es ist an der Zeit, von einer Ökumene der Formen auf eine Ökumene des Herzens überzugehen.
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Beides zu finden unter:
» www.evref.ch